Brillenmode gestern und heute
Warum ist die Panto-Fassung nie aus der Brillenmode gekommen? Was macht die Cateye-Brille heute noch so sexy? Und wieso scheint das Horngestell eigentlich unsterblich zu sein? Ganz einfach: Menschen zeigen mit Brille ein Lebensgefühl, einen Zeitgeist und setzen Statements. John Lennon mit der Nickelbrille, Woody Allen mit dem Panto- und Audrey Hepburn mit dem Cateye-Rahmen. Andere Trends sind längst in der Versenkung verschwunden. Allemal Grund, die All-Time-Klassiker mit Upgrades weiter auf der Nase zu tragen. Ein Blick in die Geschichte der Brillenmode.
Brillenmode: die 20er Jahre
Sie erinnern sich? „Babylon Berlin“ – zu Asche, zu Staub? In der bebenden Stadt tanzten sich die Menschen zwischen zwei Weltkriegen in den Rausch. Frauen lebten als Garconne oder Flapper ihre Emanzipation. Männer trugen Intellekt und Kunst mit Panto-Brillen zur Schau – große, runde, oben abgeflachte Fassungen in schwarz oder braun, die Bügel schmal, die Nasenstege markant und bestenfalls in einer anderen Farbe, in einem anderen Material.
So richtig ins Rollen kam der Panto-Zug im Amerika der 50er und 60er Jahre. Jeder wollte sophisticated wie Woody Allen aussehen. Damals noch aus Schildpatt gefertigt, schwenkten die Designer in den siebziger Jahren auf das umweltfreundliche Acetat um. Alles in allem: ein Modell für die Ewigkeit. Oder hat heute jemand etwa nicht diesen Allrounder in der Brillenbox?
Bilder: Jos. Eschenbach (1), rocco by Rodenstock (2)
Brillenmode: die 40er Jahre
Der nächste Klassiker erblickte in den 40er Jahren das Licht der Brillenmode-Welt: die Cateye-Fassung. Weiblich, sexy, verführerisch. Marilyn Monroe, Audrey Hepburn und Grace Kelly machten das extravagante Gestell film- und alltagsreif. Die wegen ihrer geschwungenen Form auch Schmetterlingsbrille genannte Fassung feiert seitdem regelmäßig ihr Revival. Mal dick und schwarz, mal schmal und spitz – wie in diesem Jahr die Pointed-Cateye-Brille. Brillenmode, immer schön feminin und intellektuell.
Bilder: HUMPHREY’S eyewear (1), ANDY WOLF Eyewear (2)
Brillenmode: die 50er Jahre
Wir schreiben die 1930er Jahre. Bausch & Lomb-Tochter Ray-Ban entwickelte für die Piloten der Air Force Sonnenschutzbrillen. Die legendäre Aviator überzeugte praktisch mit Tropfenform, Doppelsteg, schmalem Rahmen und grünen Gläsern, als Pilotenbrille für jedermann aber erst so richtig in den 50er Jahren. Die Never Ending Story befeuerten „Top Gun“-Tom Cruise als Kampfpilot Maverick und später Jessica Parker als Carrie Bradshaw in „Sex and the City“. Ein Star was born. Die Masse trug sie. Weiter, immer weiter.
Brillenmode: die 60er Jahre
Puh! Ein Nerd. Wer die klobige, dunkle Hornbrille in Zeiten von Titan und Acetat zu Markte trug, musste ein Bücherwurm oder Computerfreak sein. Wie sonst konnten die dicken Gläser mit den vielen Dioptrien in die Fassung passen. So jedenfalls lautete zwischenzeitlich das vernichtende Urteil über Träger von Hornbrillen.
Dabei fing in den goldenen 20ern alles so schön an: Männer mit Hornbrillen strahlten Intelligenz und Charakter aus. Ihren Durchbruch erlebte die Hornbrille in den 60er Jahren. Politiker wie Henry Kissinger und Künstler wie Woody Allen machten das markante Naturprodukt zum Must have vor allem der amerikanischen Männer. Im Mainstream ist die Brille erst seit der Jahrtausendwende angekommen. Sieht doch cool aus: die Hornbrille – jetzt oft aus Acetat– zum Business-Outfit oder zum trendigen Hipster-Look. Keine andere Fassung erlebte so viele ups and downs.
Brillenmode: die 70er Jahre
Die Fassungen mussten vor allem eins sein: groß, größer, am größten. Hippies liebten die XL-Shades. Egal, ob aus Metalloder dickem, buntem Acetat. Für die Stars und Starlets wurden die Oversize-Brillen zum Markenzeichen. Alles war erlaubt, alles möglich: von dezent, markant bis schrill, ein Rausch an Mustern, Farben, Formen. Spätestens im Sommer trugen sie alle. Welche Sonnenbrille bot sonst so viel UV-Schutz?
In den wilden 70ern standen die Sterne erstmals auch auf rund und klein. Die Brille à la John Lennon startete ihren Siegeszug. Den Namen Nickelbrille trägt sie noch heute, obwohl das Material längst ein anderes ist. Nickelallergie? Kein Problem. Wozu gibt es Kunststoff? Ein Brillentrend, der heute wieder schwer angesagt ist.
Bilder: maje Paris (1), Morgan Eyewear (2)
Brillenmode: die 80er Jahre
Ziemlich schräg, die Mode in den 80ern. Die Nacht war nicht mehr allein für Glamour da. Jetzt funkelte es rund um die Uhr. Die halbe Welt schaute „Dallas“ und „Denver“. Auch Lieschen Müller rüstete sich modisch auf: mit Dauerwelle, Schulterpolstern, Rüschen – und opulenter, farbenfroher Brille. Hauptsache auffallen. Ob das die Ladies stärker gemacht hat? Man weiß es nicht.
Bilder: COBLENS EYEWEAR (1), OWP (2)
Brillenmode: die 90er Jahre
Mauerfall, deutsche Einheit, Love-Parade – die Welt war im Umbruch, Pop die neue Währung. Alles schien möglich. Menschen feierten die neue Freiheit. Auch in der Mode tobte der – nackte – Wahnsinn: Bauch frei, Netz-Shirt, Spaghetti-Kleider, Tattoos, wohin man schaute.
Die Brillenmode steuerte mit zurückhaltenden Modellen dagegen. Auf den Nasen gaben rahmenlose Brillen, sehr dünne Rahmen und Fassungen aus transparentem Acetat den Blick aufs Gesicht frei. Die Fassung als stiller Begleiter. Ausnahme Sonnenbrillen: In die meist schmalen Gestelle setzten die Hersteller getönte Gläser in Rot, Blau oder Rosa. Schrill wie die Outfits.
Brillenmode: die 2000er Jahre bis heute
Alles auf Anfang. Ab 2000 wurden die Brillen wieder eckiger, kantiger, mutiger. Sie avancierten erneut zum modischen Accessoire. Selbst die Kreativen der Haute Couture schickten ihre Models mit Brille auf den Laufsteg.
Dabei wurde und wird auch heute noch kräftig im Archiv gestöbert. Panto-,Cateye-, Nickel- und Piloten-Fassungen, rahmenlose, solche aus Hornoder im XL-Format – sie tauchen als Retro-Modelle wieder auf und machen Quote. Getragen wird, was gefällt. Upgrades sind erlaubt und gewünscht. 2019 glänzen rahmenlose Brillen beispielsweise mit Facettenschliff oder getönten Kanten, Brillen mit Doppelsteg überraschen mit auffällig geformten Nasenstegen, oft sogar kleinen Schlüssellöchern. Zurück in die Zukunft!
Brillenmode – eine Zeitreise
Brillentrends kommen und gehen. Einige Modelle schaffen es zum Klassiker. Wer wissen will, welche Kunststücke die Designer in den vergangenen Jahrzehnten so alles gezaubert haben, braucht sich nur umzuschauen. Panto- und Cateye-Rahmen, Piloten- oder Nerdbrille – sie alle halten sich als Retro-Modelle tapfer auf den Nasen der Träger. Kultobjekte mit Geschichte.